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Kreis Düren

Im Kreis Düren werden bald 180 Wasserstoffbusse fahren

Das Erfolgsgeheimnis lautet "Einfach mal machen". Ein Interview mit Landrat Wolfgang Spelthahn zum Thema Wasserstoff.

Wasserstoff-Modellregion Kreis Düren

Landrat Wolfgang Spelthahn setzt auch beim kreiseigenen Fuhrpark auf Wasserstoff.

Das Interview mit Landrat Wolfgang Spelthahn führte Frank Gerstenberg, Leiter des Klimabüros von FOCUS online Earth in Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Frank Gerstenberg: Herr Spelthahn, im vorigen August haben Sie im Brückenpark Jülich die dritte Wasserstoffmesse veranstaltet. Die fünf wichtigsten Messen zum Wasserstoff finden in München, Hannover, Hamburg, Stuttgart und Bremen statt. Ist das kleine Düren da schon auf Augenhöhe?

Wolfgang Spelthahn: Nein, wir haben auch keine klassische Präsentationsmesse mit aufwendigsten Messeständen. Wir haben allerdings das Bestreben, die Aktivitäten im Wasserstoffbereich den Menschen sichtbar zu machen und letztlich für sie zu übersetzen. Und wir sind sehr dankbar, dass wir von den ersten Anfängen vor drei Jahren, wo wir mit sieben, acht Ausstellern angefangen haben, jetzt bei 40 Ausstellern angekommen sind. Wir hatten jetzt auch erstmalig Nutzfahrzeuge im Portfolio. Es nimmt sowohl das Aussteller- wie das Publikumsinteresse massiv zu. Und es gelingt damit, den Menschen die Fortschritte, die wir im Bereich Wasserstoff erzielen, darzustellen und für sie auch verständlicher zu machen. 

Gerstenberg: Düren steht seit jeher für Energie. Mit dem Braunkohleausstieg 2030 steht Ihnen ein riesiges Gelände zur Verfügung, für das Sie andere Regionen beneiden. Sie wollen es vor allem für Wasserstoff nutzen. Was genau planen Sie? Wie wird Düren in einigen Jahren aussehen?

Spelthahn: Wir wollen die riesigen Flächen, die zuwachsen, für eine multiple Nutzung verwenden. Das heißt, es gibt tolle Pläne. Am weitesten fortgeschritten ist der kleinste See, der Indesee. Da gibt es bis hin zu den Markierungen des Strandbades schon die Flächen für Photovoltaik. Das ist schon eine sehr dezidierte Planung. Ähnliche Entwicklungen sind für die beiden anderen Seen im Gange. Wir wollen Energieregion bleiben und Wasserstoff hilft uns dabei sehr, zumal es nicht der große Flächenverbraucher ist. Wir haben eine Ansiedlung, den sogenannten Brainergy-Park. Wir haben es geschafft, dort das Wasserstoff-Cluster der Helmholz-Gesellschaft zu etablieren und die größte Förderung des Strukturwandels dort zu verorten, und wir hoffen, dass wir sowohl die wissenschaftlichen Impulse wie aber auch konkret die praxisnahen Projekte von dort aus gewährleisten können und so tausende neue Arbeitsplätze schaffen können. Die brauchen wir auch dringend, da wir mit Ende des Braunkohleabbaus im Jahre 2030 rund 7.500 Arbeitsplätze verlieren werden. Die große Chance wird sein, in einer attraktiven Seenlandschaft Leben und Arbeiten zu gewährleisten. Und zum Wasser passt ja auch sehr gut der Wasserstoff. 

Gerstenberg: Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Elektrolyseur-Firma aus und wie groß ist die Fläche, auf der Sie das ganze machen werden?

Spelthahn: Zum einen haben wir das Ziel, möglichst wenig Flächen neu zu verbrauchen. Das heißt, möglichst alte Flächen in Anspruch zu nehmen. Deshalb haben wir eine Brache gewählt. Es gibt hier ein sehr markantes Gelände: das ist die Sendeanlage der ehemaligen Deutschen Welle in Jülich, die recht bekannt war. Die Deutsche Welle braucht diese Sendeanlagen nicht mehr. Wir haben die alten Sendeanlagen abgebaut, und auf dieser Fläche entsteht jetzt aktuell die Elektrolyse-Anlage. Die Elektrolyse-Anlage bauen wir mit einer benachbarten Firma aus dem Kreis Heinsberg, das ist die Firma Neumann & Esser. Allerdings wird es ein amerikanisches Gerät geben, weil auf dem deutschen Markt im Moment keiner in der Lage ist, eine solche Elektrolyse wirklich zu bauen. 

Gerstenberg: Hambach ist der größte Tagebau Europas. Auf 85 Quadratkilometer holen die Bagger aus bis zu 350 Metern Tiefe die Braunkohle. 2030 ist damit Schluss. Was passiert dann mit den Menschen? Sie haben gesagt, dass die Braunkohleregion die größtmögliche Förderung für den Strukturwandel erhalten wird. Wie sieht diese Förderung konkret aus?

Am Brainergy-Park in Jülich befinden sich über 18.000 Solarmodule, die die Produktion von grünem Wasserstoff unterstützen sollen.

Spelthahn: Das Wasserstoff-Cluster, das im Brainergy-Park den Hauptsitz hat, hat eine Förderung von 1,08 Milliarden Euro bekommen. Zu 90 Prozent ist das eine Förderung des Bundes und zu 10 Prozent des Landes NRW. Das ist der wissenschaftliche Rahmen für diese Wasserstoff-Aktivität. Die Förderung, die wir als Landkreis Düren bekommen haben, beläuft sich auf insgesamt 75 Millionen Euro. Das bezieht sich auf die Anschaffung von 17 Zügen für unsere lokale Eisenbahngesellschaft und den Aufbau einer Infrastruktur mit Tankstelle und Werkstatt für diese Wasserstoff-Fahrzeuge. Dann gibt es noch Einzelförderungen für die Anschaffung von Wasserstoff-Bussen, wo die Differenz zwischen einem Dieselbus und einem Wasserstoffbus aufgefangen wird, und Förderung für die Infrastruktur, was diese Wasserstoffbusse betrifft. Wir haben ja schon eine Tankstelle, die auch schon gefördert worden ist. Demnächst werden noch weitere vier hinzukommen. Man kann das so abgrenzen: Für den wissenschaftlichen Background sind bisher 1,08 Milliarden zugesagte Förderung, und wir haben als Region einen Gesamtförderbescheid von Herrn Wissing über einmal 75 Millionen bekommen und darüber hinaus sind aber bereits 7 Millionen für weitere Projekte geflossen, so dass wir insgesamt auf 82 Millionen Förderung von Bund und Land kommen, für die wir sehr dankbar sind. 

Gerstenberg: Ab wann wollen Sie grünen Wasserstoff produzieren? Auf welcher Fläche?

Spelthahn: Im ersten Quartal 2025 ist vereinbart, dass wir liefern können. Das ist deshalb so wichtig, weil wir schon Verträge abschließen. Insofern müssen wir bis zum 31. März 2025 liefern, sonst machen wir uns vertragsbrüchig. 

Gerstenberg: An wen liefern Sie?

Spelthahn: Wir liefern für unsere eigene Busse und Bahnen. Wir haben aber auch schon über die Firma Messer, das ist der private Partner in dem Projekt, Abnehmer aus der Industrie gefunden, die dann ihre Planungen ein Stück weit von der Verfügbarkeit des grünen Wasserstoffs abhängig machen.

Gerstenberg: Der Landkreis Düren will seine gesamte Diesel-Bus-Flotte durch Wasserstoff-Busse austauschen. 180 Busse sind für die nächsten Jahre geplant. Auch die 17 Züge in Düren sollen mit Wasserstoff laufen. Warum setzt der Landkreis Düren auf Wasserstoff?

Spelthahn: Zum einen, weil wir ein Flächenkreis sind. Wir haben auch Elektrobusse schon im Portfolio und auch weitere in der Anschaffung geplant, also akkubetriebene Fahrzeuge. Die sind aber aus unserer Sicht besonders geeignet für innerstädtische, verdichtete Räume. Das ist eben nicht das Wesensmerkmal eines Landkreises, der sich auf 945 Quadratkilometer erstreckt. Da wir auch diverse Schnellbuslinien haben, die unseren Kreis mit Aachen und dem Nachbarkreis Euskirchen verbinden, setzen wir daher eher auf größere Reichweiten und auf sehr kurze Betankungszeiten. Und deshalb ist für uns der Wasserstoff ein geeigneteres Vehikel als das in einer Großstadt der Fall wäre, wo man auch über kreatives Zwischenladen anders nachdenken kann als in einem Raum, wo ich große Entfernungen überwinden muss. Hinzu kommt, dass unsere Eisenbahnstrecken bisher nicht elektrifiziert sind und dass das teilweise Mono-Strecken sind. Das heißt, da läuft beispielsweise ein Gleis durch die schöne Eifellandschaft. Und wenn dieses Gleis elektrifiziert wird, dann baue ich da eine Oberlandleitung. Wenn bei einem Sturmereignis ein Baum in die Leitung schlägt, habe ich stundenlange, tagelange Ausfälle. Bei Wasserstoff ist das Fahrzeug autark, da muss ich nur den Baum von der Strecke ziehen und fahre weiter. Das ist ein Grund, warum wir gesagt haben, aus pragmatischen Gründen ist für uns der Wasserstoff besser geeignet als es die Akku-Betriebe sind, die ich immer wieder neu zwischentanken muss und für die ich den Strom ständig zuführen muss. Dieses Elektrosystem ist wesentlich anfälliger. Man sieht in Bayern, wie oft da der Strom ausfällt, wenn es Unwetterereignisse gibt. Deshalb hat ja Herr Söder auch propagiert, dass Siemens-Wasserstoffzüge besetzt werden sollen. 

Gerstenberg: Liegt die Zukunft der Mobilität im Wasserstoff?

Spelthahn: Nein. Wir machen in Deutschland manchmal den Fehler, dass wir auf ein System setzen. Ich habe es bei VW für einen Riesenfehler gehalten, als Herr Diess gesagt hat: "Es gibt für uns nur den Akku, also die Batterie." Ich denke, man muss immer technologieoffen sein. Ich bin Jurist und kein Wissenschaftler, aber die bisherigen Erfahrungen, die ich gemacht habe, seitdem ich mich mit dem Thema auseinandersetze, lehren mich: Demut zu zeigen in der Frage, was sich am Ende am Markt durchsetzen wird. Ich bin aber recht sicher, dass es mindestens zwei Systeme geben wird. Es wird den Schwerlastverkehr geben, und da sehe ich den Wasserstoff deutlich vorne, weil er weniger Gewicht transportiert. Denn wenn ich einen 40-Tonner LKW vor Augen sehe, dann fehlt mir so ein bisschen die Fantasie, wie er die Akkus transportieren soll, die ja sehr groß sein müssen, und irgendwo muss ja auch noch die Ladung hin. Auf der anderen Seite: Bei einem City-Flitzer, einem PKW für Kurzstrecken, da wird sich der Akku nicht schlagen lassen. Insofern: Beides ist wichtig. Deshalb haben wir im hohen Maße auf Wasserstoff bei LKWs, beim Nutzverkehr, in Bussen und in Züge, vereinzelt auch bei PKWs. Gleichzeitig werden wir auch die Elektromobilität nutzen.

Gerstenberg: Somit erübrigt sich die Frage Elektro oder Wasserstoff?

Spelthahn: Ich fahre auch dienstlich ein Wasserstoff-Auto und bin da äußerst zufrieden mit. Wir tanken in vier Minuten, fahren damit 630 Kilometer. Das wird auch die Batterie erreichen, in absehbarer Zeit, da wage ich keine Prognose. Es wird auch von der Gewichtsklasse des Fahrzeugs abhängen. Wenn der Trend weiter zu sehr großen SUVs geht, hat der Wasserstoff sicher auch in dem Segment eine Chance. Wenn es auf eher kleinere Fahrzeuge geht mit geringerem Gewicht, wird der Akku kaum schlagbar sein. Denn der Wirkungsgrad der Batterie ist größer als der von Wasserstoff. Es wird beide Technologien auf der Straße geben, beide sind wichtig. 

Landrat Wolfgang Spelthahn und Anne Schüssler, beim Kreis Düren zuständig für das Thema Wasserstoff, nahmen die Wasserstofftankstelle im Dürener Gewerbegebiet "Im Großen Tal" in Augenschein und betankten auch gleich ein Fahrzeug des Kreises Düren.

Gerstenberg: Laut dem Branchenportal H2.Live gibt es in Deutschland 89 Wasserstofftankstellen, in NRW soll es die meisten geben. Ist das viel oder wenig?

Spelthahn: Wir hatten vor einigen Wochen den Wasserstofftankstellentalk: Da war von 105 Tankstellen in Deutschland die Rede. Es gibt zu wenige. Der Ausbau kommt zu zögerlich voran. Deshalb versuchen wir auch da ein Zeichen zu setzen. Wir haben in der Entwicklung vier weitere Tankstellen im Kreisgebiet, die auch schon sehr weit fortgeschritten sind und wo ich auch sagen kann, da ist sowohl die Förderung schon gewährleistet wie auch das Grundstück ausgewählt. Da sind wir sehr weit, deshalb glaube ich, dass wir 2025 der dichtest besetzte Landkreis in Deutschland sein werden.  

Gerstenberg: Zusätzlich zu der einen Tankstelle im Großen Tal?

Spelthahn: Ja, es kommen vier weitere hinzu. 

Gerstenberg: Es gibt auch andere Regionen, die Wasserstofftankstellen anbieten und Wasserstoff produzieren. Wo genau ist Düren Vorreiter?

Spelthahn: Absolut. Wir sehen uns auch gar nicht so als Vorreiter. Aber wir sind definitiv bei den Ersten. Wir sind Vorreiter insofern, dass wir schon den eigenen grünen Wasserstoff produzieren. Wir machen eine in sich geschlossene Kette, das heißt: von der Produktion des Wasserstoffs bis zum Verbrauch des Wasserstoffs ist auf engstem Raum, auf 940 Quadratkilometern, ein geschlossener Zirkel gegeben. Und das ist glaube ich ein relativ einmaliges Projekt. Natürlich träumen viele davon, dass große Tanker aus Australien billigen Wasserstoff bringen. Es gibt auch hier und da ein Projekt, wo es heißt, wir wandeln jetzt Solar und Wind in Wasserstoff um. Aber dieser ganzheitliche Ansatz, wir haben Konzeption, Wissenschaft, Produktion, Anwendung und die Verbraucher direkt in der Nachbarschaft, das ist glaube ich für uns schon einmaliges und relativ vorangeschrittenes Projekt. 

Gerstenberg: Ist es das, was Düren anders macht, was Düren auszeichnet?

Spelthahn: Ob uns das auszeichnet, weiß ich nicht. Wir machen es auf jeden Fall so, dass wir erstmal zeigen wollen, dass in einem geschlossenen System das System funktioniert. Es ist im Endeffekt ein Experimentierfeld im realen Leben. Nicht im Labor, sondern im realen Leben der Bürgerinnen und Bürger wird der Wasserstoff sichtbar werden. 

Gerstenberg: Der Standort Düren ist bislang jedoch nur Eingeweihten bekannt. Von Düren als Wasserstoff-Valley hat man bislang eher weniger gehört. Worauf führen Sie das zurück?

Spelthahn: Herr Döpfner von der Welt hat neulich einen interessanten Artikel geschrieben, dass die große Mehrzahl der deutschen Journalisten in den Ballungsräumen ansässig ist und deshalb das Bewusstsein für das Denken und Handeln der Menschen in der tiefen Provinz oder in der Fläche nicht so im Fokus steht. Er hat anempfohlen, mal auszuschwärmen und im Lande nachzuforschen. Das hat mir aus der Seele gesprochen, ich glaube, dass viele die Debatte führen aus Berliner, Düsseldorfer, Münchner Sicht. Dort springe ich in meine hoffentlich pünktlich fahrende U-Bahn oder S-Bahn. In einer Großstadt habe ich ganz andere Probleme als jemand, der hier in Düren, um einen Kasten Wasser zu kaufen, sechs Kilometer zum Supermarkt fahren muss. Ich glaube, deshalb wird so eine Fläche wie Düren nicht so wahrgenommen. Wir haben eben nur eine fachlich zwar starke, aber kleine Pressestelle. Wir haben kein Marketingbudget und können nicht klopfen und trommeln. Wir haben halt kleinere Veranstaltungen und dann haben wir mal das Glück, dass ein Journalist wie Sie darauf aufmerksam wird. Wir haben aber kein Budget, um zu trommeln und zu sagen, wir sind toll. Das können wir leider nicht machen. 

Gerstenberg: Zurück zu den Tankstellen. Das war ja immer der Knackpunkt in den letzten Jahren: Baut man zuerst die Tankstelle oder bringt man zuerst die Autos auf die Straße? Von über über 3,7 Millionen LKWs in Deutschland fahren laut Kraftfahrtbundesamt nur 90 mit einer Brennstoffzelle. Bei den rund 85.000 Bussen sind es gerade mal 68. Sie werden die Quote deutlich anheben, wenn allein in Düren 180 Wasserstoffbusse unterwegs sein werden. Wie kamen Sie auf die Idee, die Wasserstofftankstelle im Großen Tal in Düren zu eröffnen, an der seit Anfang des Jahres 2023 LKWs und PKWs tanken können?

Spelthahn: Wenn man ein geschlossenes System will und den Menschen Wasserstoff als attraktive Alternative vermitteln will, muss man ja auch die Fragen beantworten. Die erste Frage ist: Wie bekomme ich den Wasserstoff? Ohne Tankstelle wird sich niemand ein Fahrzeug anschaffen. Seitdem wir die Tankstelle haben, haben sich diverse Kommunen auch Fahrzeuge für ihre Wasserstoffflotte zugelegt: Jülich, Nörvenich und andere. Wir haben jetzt die ersten Fahrzeuge bei der Polizei und im Rettungsdienst im Einsatz. Alles nur wegen der Tankstelle. Insofern: Wenn man nicht mit der Tankstelle beginnt und idealerweise mit der Beschaffung von grünem Wasserstoff, kann man nicht erwarten, dass die Menschen sich umstellen. Wir sind jetzt erst auf dem Weg, bei den Speditionen zu werben, ihre LKW-Flotte zu ändern, weil wir ihnen verfügbare Tankmöglichkeiten anbieten. Deshalb haben wir unsere Tankstelle auch so ausgelegt, dass alle Fahrzeuge tanken können, PKWs, Busse und LKWs.

Gerstenberg: Das ist wieder etwas, das Düren anders macht, oder? Die Tankstellen waren ja immer das große Problem. Oft scheiterte Wasserstoff an der Frage, braucht man zuerst die H2-Autos oder die Tankstellen? Und dann ist das Ganze dann im Sande verlaufen.

Spelthahn: Genauso ist es. Sie bringen genau den Konflikt zur Geltung, der auch beim Tankstellen-Talk diskutiert worden ist. Viele haben Anträge gestellt, eine Tankstelle zu bauen. Dann ist aber die Rückfrage gekommen: Wer will denn die Tankstelle nutzen? Dann hat man argumentiert: Wenn die Tankstelle da ist, kriegen wir auch die Nutzer. Die Bauherren der Tankstellen verlangen aber vorher schon eine Plausibilität der Abnahme. Da sind wir dann einen eigenen Weg gegangen. Wir haben schon die Nachfrage im Vertrauen auf die Tankstelle hochgefahren und gleichzeitig die Tankstelle gebaut, die von Bund und Land gefördert wurde. Das ist ein riskantes Thema sicherlich, aber es ist der einzig gangbare Weg. Es stellt sich heraus, dass unsere Tankstelle eine der am meist frequentierten in NRW ist, weil wir eben jetzt schon Dutzende PKWs und Busse haben, die hier betankt werden. Nicht nur unsere eigenen, sondern auch aus Nachbarregionen, und vor dem Hintergrund war das der richtige Weg. Die Zahlen der Tankstelle überzeugen, so dass jetzt auch eine zweite Tankstelle vom Betreiber geplant ist. 

Gerstenberg: Damit schlagen Sie ja sogar Hamburg, wie ich auf Ihrer Messe gehört habe. Die Preisträgerin Ihres Wasserstoff-Awards Sara Schiffer sagte, dass sie es probiert habe, mit ihren Hylane-LKWs in Hamburg zu tanken. Alle drei Wasserstoff-Tankstellen, die es in Hamburg gibt, haben jedoch nicht funktioniert.

Spelthahn: Richtig, ja. Das ist genau der Punkt, dass wir da auch ein bisschen Glück hatten mit den richtigen Annahmen. Wir sind dankbar, dass sich Menschen Wasserstofffahrzeuge angeschafft haben im Vertrauen darauf, dass die Tankstelle kommt. 

Sara Schiffer (2.v.r.) gewann den Wasserstoff-Preis des Kreises Düren in der Kategorie "Start Up Innovation".

Gerstenberg: Ist das, was Frau Schiffer sagte aber nicht vielleicht doch ein Indiz dafür, dass die Technologie noch in den Kinderschuhen steckt?

Spelthahn: Nein! Sie hat in einem WDR-Beitrag bestätigt, dass die Menschen, die die LKWs nutzen, hochzufrieden sind. Ich glaube, man muss einfach Zugang eröffnen. Ich führe gerade Gespräche mit Speditionen, die auf ihre althergebrachten Lieferanten setzen und sagen, dann warte ich lieber mal ab, was MAN oder Mercedes liefern. Ja, aber man muss auch diese Lieferanten antreiben. Und ich bin der Meinung, wenn wir in Deutschland über Klimawandel reden, dann kann es nicht sinnvoll sein, dass der private Verbraucher immer bessere Elektroautos oder Wasserstoffautos bewegt, aber auf der Autobahn an einem sechs, sieben Kilometer langen LKW-Stau vorbeifährt. Mit sehr unterschiedlichen Diesel-Fahrzeugen in sehr unterschiedlichen Zuständen. Und das kann von der Klimabilanz her nicht positiv sein. Deshalb finde ich auch die Diskussionen über die Emissionen des Verkehrs für ein Stück verfehlt, weil die zu sehr zu Lasten des privaten Konsumenten geführt werden. Die Hauptlast, so nehme ich es wahr, kommt aus dem Schwerlastverkehr. 

Gerstenberg: Sie meinen jetzt das, was der Expertenrat über das Klimaschutzprogramm gesagt hat.

Spelthahn: Genau. Ich bin der Meinung, es muss dringend, wie in Amerika ja auch, der Fokus auf den Schwerlastverkehr gelegt werden. Und das macht die Biden-Administration richtig. Die subventionieren den Wasserstoff auf einen Dollar pro Kilo und sie bauen alle 30 Meilen an ausgewählten Highways Wasserstoff-Tankstellen und statten Firmen wie Anheuser-Busch (US-amerikanischer Biergigant) mit LKWs aus. Deswegen haben die Amerikaner aktuell einen Vorsprung, was Wasserstoff betrifft, und erobern den Markt, sie rollen den Markt geradezu auf. Deshalb meine ich, dass Deutschland hier dringend nachziehen muss.

Gerstenberg: Frau Schiffer, die Geschäftsführerin von Hylane, die wasserstoffbetriebene LKWs vermieten, hat auf der Dürener Wasserstoff-Messe im August gesagt, dass die Kunden das sehr wohl annehmen. Sie ist mit ihrer Firma voll ins Risiko gegangen.

Spelthahn: Man sieht jetzt: Es lohnt sich. 

Gerstenberg: Wasserstoff wurde in den vergangenen Jahrzehnten mal als die "Kohle der Zukunft" gefeiert, als "Energieträger der Zukunft" (die frühere Forschungsministerin Anja Karliczek, CDU), als das "Öl von morgen", BMW sprach vor einigen Jahren sogar davon, dass Mitte der 2020er Jahren 50 Prozent der PKWs mit Wasserstoff fahren, dann wurde die Technologie wieder totgesagt. Setzt sie sich diesmal durch? Und warum?

Spelthahn: Sie wird sich durchsetzen. Sie wird in der Industrie Riesenperspektiven haben, da, wo viel Energie verbraucht wird. Sie wird da eine große Perspektive haben, wo man Energie speichern muss. Sie wird im Schwerlastverkehr ein ganz entscheidender Beitrag sein. Insofern werden wir nicht die Akku- oder die Wasserstofflösung haben und dann muss man sich an der Gabelung entscheiden. Wir werden beides haben. Und darum glaube ich fest daran, dass wir Tankstellen haben werden, die Betankung mit Strom direkt ermöglichen, davon müssen wir noch viel mehr haben. Wir werden aber auch Tankstellen für Wasserstoff haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass es für den Schwerlastverkehr eine sehr gute Perspektive damit gibt. 

Gerstenberg: Wasserstoff jetzt oder nie?

Spelthahn: Jetzt muss etwas passieren. Das sind ja lange Zyklen. Natürlich kann ich darauf warten, dass der von Herrn Musk angekündigte Tesla-Truck seine Zahlen wirklich erfüllt. Ich kann auch darauf vertrauen, dass die Batterie-Technik immer weitere Effizienzen zeitigt. Aber ich halte es für realistischer, Wasserstoff einzusetzen, wenn damit schon Reichweiten erzielt werden, von denen der Akku noch weit entfernt ist. Insofern bin ich sehr optimistisch, dass es für beides sehr sinnhafte Anwendungsmöglichkeiten gibt.  

Der Kreis Düren wird seiner Vorreiterrolle gerecht: Im Mai 2022 präsentierte Landrat Wolfgang Spelthahn die ersten fünf mit Wasserstoff betriebenen Busse, die seitdem im normalen Linienverkehr eingesetzt werden.

Gerstenberg: Wo liegt der Vorteil gegenüber der Elektro-Mobilität insbesondere bei Bussen in ländlichen Gegenden?

Spelthahn: Der E-Antrieb wird immer besser werden, aber irgendwann stößt man auch an physikalische Grenzen. In Amerika steckt die Biden-Regierung 14 Milliarden Dollar per anno in Wasserstoff und fährt die heimische Industrie gewaltig hoch. Der Lieferant unserer Elektrolyse, plug-power, war noch vor sieben, acht Jahren ein start-up mit 40, 50 Mitarbeitern und hat jetzt fast 3000. Das sind Erfolgsgeschichten. Ich träume davon, dass wir das auch in Deutschland mutig angehen und nicht immer verzagt überlegen, wo könnte denn der Wasserstoff mal in zehn Jahren herkommen und dann in Studien feststellen, dass es in Australien eine tolle Sonneneinstrahlung gibt. Ich finde, man sollte manchmal mal beginnen und sich entwickeln anstatt erstmal einen Rat formen, der 30 Bedenken aufbaut. Die werden dann abgebaut, in der Zeit haben die anderen den Markt erobert und aufgeteilt. 

Gerstenberg: Mutig und mit Freude, wie Sie auf der Messe gesagt haben.

Spelthahn: Das ist immer so ein Credo, das ich immer hier als kleiner Kommunalpolitiker verfolgt habe. Ich finde, Menschen zu drangsalieren und den erhobenen Zeigefinger zu schwingen und zu sagen, Du musst das jetzt machen, das kann man so machen, bringt aber wenig Freude auf beiden Seiten. Wir haben hier in Düren ein Dächerprogramm, das heißt 1000 mal 1000. Jeder, der Photovoltaik macht oder Wallboxen aufstellt, bekommt eine Förderung. Das läuft unbürokratisch, wir haben auch ein eigenes Kreditprogramm unserer Sparkasse aufgelegt, mit dem die Leute vergünstigte Kredite bekommen. Ein Riesenerfolg, in den vergangenen Jahren waren wir in NRW regelmäßig an der Spitze des Solarausbaus. Natürlich kann man sagen, bei einer Anlage von 50.000 Euro ist das ein Tropfen auf den heißen Stein, aber der Bürger fühlt sich wertgeschätzt. Das setzt Kräfte frei.

Gerstenberg: Zurück zum Wasserstoff. Haben Sie eine Zahl, wo Deutschland steht bei der Investition im Vergleich zu den USA?

Spelthahn: Wir wissen nur, dass eine Milliarde für die nächsten 20 Jahre bereitgestellt wurde für das Helmholtz-Cluster im Brainergy Park. Aber das sind ja immer Summen, die in einigen Jahren fließen. In den USA läuft das per anno. Wir sind da mit Bruchteilen unterwegs. Wir haben Machbarkeitsstudien für die Stahlindustrie, da fließen sicher auch einige hundert Millionen. Aber es gibt aus meiner Sicht nicht das ganzheitliche Konzept. Die Fragen sind nicht geklärt, wie wir in ausreichendem Maße an grünen Wasserstoff kommen. Es gibt Studien, dass man in Marokko oder in Australien Flächen hätte. Mir ist das alles zu theoretisch.

Gerstenberg: Sehen Sie auch Nachteile beim Wasserstoff?

Spelthahn: Das Helmholtz-Cluster hat in einem sehr guten Vortrag auf unserer Messe erklärt, dass der Akku, also der elektrische Strom, die Erdbeere ist, der Wasserstoff ist dann die Erdbeermarmelade, das ist genau richtig. Der direkte Zugang und der größte Wirkungsgrad liegt sicher im unmittelbaren Einsatz elektrischer Energie. Aber es kann klug sein, nicht nur aus Geschmacksgründen, auch elektrische Energie zu veredeln und auf anderem Wege zuzuführen. Denn Wasserstoff ist ja in der Wirkung nichts anderes als eine Elektrifizierung, nur eben auf einem anderen Weg. Insofern glaube ich, dass der Nachteil erstmal der geringere Wirkungsgrad ist. Auf der anderen Seite hat Wasserstoff als Speichermedium und als veredeltes Produkt sehr wohl seine Perspektive. Und das ist ja auch ein Thema unserer Energiewende. Sie treffen immer Skeptiker. Ich muss ja das, was ich heute überreichlich produziere, wie etwa mit der Solaranlage, speichern. Da bin ich dann wieder beim Wasserstoff.

Gerstenberg: Warum Wasserstoff jetzt?

Spelthahn: Weil die Zeit für Wasserstoff nach vielen Jahren jetzt reif ist. Ich habe diese Aggregatszustände mitgemacht. Ich war dabei, als BMW vor 15 Jahren versuchte, Wasserstofffahrzeuge in den Markt zu bringen. Da ist mir auch die Skepsis vieler Zeitgenossen begegnet. "Ich setzte mich doch nicht auf eine Bombe", sagten sie beispielsweise. Da waren Ängste, ich glaube, jetzt ist die Zeit reif. Wir sind gesellschaftlich so weit fortgeschritten, dass wir alle den Klimawandel sehen, wir alle etwas dagegen tun wollen, dass wir alle nachhaltiger werden wollen. Jetzt kann der Wasserstoff ein ganz, ganz wichtiges Vehikel werden, unsere gesellschaftlichen Ziele zu erreichen. Die Zeit war vor 15 Jahren dafür einfach noch nicht reif. 

Gerstenberg: Haben Sie auch Reaktionen aus der Bevölkerung auf Ihre Wasserstoffoffensive bekommen?

Spelthahn: Ja, extrem positive. Kurz vor Corona hatten wir hier einen Wasserstoff-Regionalzug im Probeeinsatz über drei Tage. Wir haben die erste Fahrt auf der Regionalstrecke durch die Eifel, von Jülich nach Heimbach, die einen Gegenwert von 5,20 Euro hatte, verlost, und ich glaube, es haben sich 2000 Menschen beworben auf die 80 Plätze für diese Fahrt. Das war gewaltig. Und als wir dann gestartet sind, waren aus ganz Europa Menschen an der Strecke und haben fotografiert, und als wir an der Endstation ankamen, waren da bestimmt 200 Leute, die den Zug sehen wollten. Sie wollten sehen, ob da wirklich am Auspuff nur Wasser rauskommt. Das war ein Riesenerfolg. Auch die Zahl der Messe-Besucher steigt von Jahr zu Jahr. Die Stimmung in der Bevölkerung für Wasserstoff ist äußerst positiv. Das merken wir auch an der Auswertung der Social-Media-Arbeit. Wenn der Begriff Wasserstoff fällt, sind sehr viele Reichweiten, sehr viele Likes zu erreichen. Das wird von 95 Prozent der Bürger hier positiv gesehen. 

Er ist leise, schnell und umweltfreundlich: Der erste Wasserstoffzug, der im Februar 2020 durch den Kreis Düren fuhr, steht für innovative Technik und zukunftsweisende Mobilität. "Sie sind alle Pioniere", rief Landrat Wolfgang Spelthahn den rund 100 Gästen auf der Fahrt von Düren nach Jülich zu.

Gerstenberg: Diese Züge sollen alle anderen Züge sukzessive ablösen?

Spelthahn: Ja, genau, ab 2025. Gerade wird da die weltweite Ausschreibung vorbereitet, weil es ja nicht so viele Hersteller gibt. Aber auch da bin ich damals gescholten worden, dass es ja nur einen Hersteller gäbe. Das war Alster, mit der wir die Probefahrt gemacht haben. Dann hat sich Siemens entschieden, auch Wasserstoffzüge zu machen und jetzt ist auch die Schweizer Firma Stadler gestartet, die zwei Probestrecken in Italien und in der Schweiz betreibt und die den Auftrag für Kalifornien für das erste Quartal 2024 bekommen hat. Das heißt, der Markt wächst plötzlich exponentiell an. 

Gerstenberg: Das sind alles Regionalzüge. Sind Wasserstoffzüge auch überregional denkbar?

Spelthahn: Die Strecken sind ja alle elektrifiziert. Es macht keinen Sinn, unter einer elektrischen Oberlandbahn mit Wasserstoff zu fahren. Da wird sich Wasserstoff nicht durchsetzen. Aber weltweit bei den vielen Regionalzügen, die ja auch jeden Tag Millionen Bürger transportieren, da hat der Wasserstoff eine sehr gute Perspektive. Und ich verspreche mir sehr viel davon, dass im ersten Quartal 2024 Schweizer Züge mit Wasserstoff in den USA fahren. Das ist ein sehr beachteter Markt. Wenn das da funktioniert in diesem strengen Produkthaftungsrecht, dann glaube ich, dass das auch ein Durchbruch sein kann.

Gerstenberg: Inwieweit sind Sie abhängig vom Ausbau des Solar- und Windenergienetzes?

Spelthahn: Wir bauen ja selbst. Wir haben die Solarparks selbst gebaut, die wir brauchen für die Wasserstoffproduktion, wir bauen weiter aus. Ich habe gestern noch mit dem Geschäftsführer unserer Rur Energy weitere Hektar besprochen, die wir anbauen für Solar und auch Windräder, wir haben eine eigene Gesellschaft dafür. 

Gerstenberg: Was können andere Städte und Landkreise von Ihnen lernen?

Spelthahn: Wir sind immer ein Kreis gewesen, der sehr zurückhaltend auftritt. Das wäre vermessen zu sagen, von uns lernen, aber ich glaube, wir haben in dem Feld einiges richtig gemacht, und wir haben nichts dagegen, wenn andere es uns nachmachen. 

Gerstenberg: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Spelthahn.

Spelthahn: Sehr gerne.

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