Ein ungeplanter Neuanfang
Wer auf das backsteinerne Einfamilienhaus in Düren zuläuft, der hört aus dem Garten fröhliche Kinderstimmen. Die Kinder lachen, spielen, sind für den Moment glücklich. Dem Haus, das einige Jahre leer stand, wurde neues Leben eingehaucht. Es ist nun Zufluchtsort für sechs Ukrainerinnen und ihre Kinder. Am 10. März 2022 ist ein Bus der Rurtalbus GmbH nach einer 24-stündigen Fahrt im Kreis Düren angekommen. Auf dem Hinweg hatte er Hilfsgüter ins polnisch-ukrainische Grenzgebiet gebracht. Auf dem Rückweg reisten 37 Menschen aus der Ukraine mit nach Deutschland, um dem Krieg und dem Leid zu entfliehen. Zwölf von ihnen sind in einem großen Einfamilienhaus untergekommen, das eine Dürener Familie ihnen zur Verfügung gestellt hat. Dies ist ihre Geschichte.
Die Frauen sind nun seit rund fünf Wochen in Deutschland. Sie hatten gehofft, dass sie gar nicht so lange bleiben müssen. Doch ihr Aufenthalt wird sich wohl noch verlängern. Der Krieg in der Ukraine hält an, die schlimmen Bilder und Nachrichten aus der Heimat erreichen die Frauen auch in Düren. Ihre Männer, Väter, Mütter, Verwandte und Bekannte sind teilweise noch vor Ort. Sorgen und Ängste begleiten den Alltag, doch sie haben hier auch ein wenig Glück gefunden. "Wir fühlen uns hier gut", sagen sie. Eine große deutsche Telefongesellschaft hat ihnen SIM-Karten zur Verfügung gestellt. Damit können sie kostenfrei mit ihren Verwandten in der Ukraine telefonieren. Das hilft. Zudem haben die Dürener Familie mit großer Unterstützung von Freunden, Nachbarn, Unternehmern und Organisationen aus Düren und auch Fremde den Flüchtlingen sehr geholfen – bis heute. Das leerstehende Haus musste binnen weniger Stunden eingerichtet werden. Ein Sanitärunternehmen aus dem Kreis Düren kümmerte sich ehrenamtlich um Heizung und Sanitär, viele Menschen spendeten Lebensmittel, Möbel, Kleidung, Drogerieartikel. Ein Nachbar bot sein WLAN an, so dass die Frauen an einer bestimmten Stelle im Garten das WLAN nutzen konnten. Inzwischen gibt es auch WLAN im Haus. "Wir sind unendlich dankbar für so viel Hilfe", sagen sie und zählen die Namen ihrer Helfer auf – eine schier nicht enden wollende Liste von Menschen, die auf verschiedene Weise geholfen haben.
Bei Null angefangen
In Düren angekommen, mussten die Frauen bei Null anfangen. Allesamt hatten nur eine kleine Tasche mit Kleidung, Decken und den wichtigsten Papieren dabei. Da sie im Winter fliehen mussten, trugen die Frauen und Kinder mehrere Hosen und Jacken übereinander. "Am Bahnhof mussten wir uns alle entscheiden: Mehr Gepäck im Zug oder mehr Menschen." Die Wahl fiel natürlich auf die Menschen und so wurden Taschen, Kinderwagen und Haustiere am Bahnhof schweren Herzens zurückgelassen. Der Zug, mit dem sie aus Kiew und dem näheren Umfeld flohen, war bis zum Rand gefüllt. 21 Waggons mit je über 350 Menschen an Bord. Unter Beschuss der Russen haben sie ihr Heimatland verlassen. Fünf Tage hat ihre Flucht ins Ungewisse gedauert. Wenn die Ukrainerinnen davon berichten, füllen sich ihre Augen mit Tränen, sie haben Schlimmes erlebt. Das hinterlässt Spuren. In Düren haben sie nun so langsam in einen Alltag gefunden, zwei weitere Frauen haben sie noch nach Deutschland geholt. Sie leben in einer Wohnung gleich nebenan. In der Gemeinschaft wirken sie glücklich, sie kochen und putzen zusammen. Sie spielen mit den Kindern im Garten, haben sämtliche Behördengänge dank der Unterstützung der Dürener Familie und freiwilligen Helfern und Übersetzerinnen gemeistert. In wenigen Wochen beginnen sie ihre Integrationskurse. Sie sind, so kann man es wohl sagen, angekommen. Auch wenn das nie ihr Plan war.
Die Hoffnung bleibt
Denn natürlich möchten sie alle zurück in die Ukraine. Wann dies möglich sein wird, ist unklar. Doch die Hoffnung auf ein Leben in der Heimat und in Frieden bleibt. Damit es den Frauen bis dahin in Düren so gut wie nur möglich geht, plant die Dürener Familie, die sie aufgenommen haben, und die Helfer Ausflüge. Das Bubenheimer Spieleland soll bald besucht werden, damit die Kinder spielen und toben können. Auch Ausflüge nach Köln und Aachen sind geplant. Eine willkommene Ablenkung. Zudem wurde schon der Geburtstag eines der Kinder groß gefeiert. Der Ausflug zu einem Reiterhof war schon immer ein Traum des Kindes. Nun ist er in Erfüllung gegangen. "Das Kind hatte wenige Tage nach der Flucht Geburtstag, wir wollten es ihm und allen anderen so schön wie möglich machen", sagt die Hausbesitzerin. Möglich ist all das durch die Hilfsbereitschaft der Dürener Familie, Spenden und tatkräftige Menschen. In einer großen Gemeinschaft haben sie das Unmögliche möglich gemacht. Ein Haus eingerichtet, mit Leben gefüllt und 14 Menschen in Sicherheit gebracht. Mit Hand und Fuß, den ehrenamtlichen Übersetzerinnen und Online-Übersetzungen verstehen sie sich inzwischen ziemlich gut. "Manchmal schreiben wir uns aber auch aus Versehen ganz komische Sachen. Zum Beispiel: Stecken Sie den Hamster nun in die Steckdose", sagt die Hausbesitzerin und alle lachen. Als die Ukrainerinnen für die Gartenarbeit nach einer Gartenschere fragen wollten, übersetzte die Online-Übersetzung das Wort mit "Sektor". "Anhand von Bildern wussten wir aber hinterher, was gemeint war." Es sind die kleinen Dinge, die den Alltag in diesen Tagen erleichtern, die den Frauen und ihren Kindern ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Wenn man das Haus verlässt und das Gartentor schließt, dann hört man von Weitem das Lachen der Kinder.
Anmerkung der Redaktion: Zum Schutz der Privatsphäre werden in diesem Artikel keine Namen genannt. Auch der Wohnort der Ukrainerinnen wird nicht näher beschrieben.
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Der Kreis Düren hat ein Spendenkonto eingerichtet, um den Geflüchteten hier vor Ort eine finanzielle Hilfe geben zu können. Deshalb bitte der Kreis um Spenden auf das Konto: IBAN: DE 80 3955 0110 0000 35 6212. Verwendungszweck: Ukraine.
Wer Wohnraum für rund zwei bis vier Wochen für Geflüchtete anbieten möchte, kann sich unter fluchtwohnungkreis-duerende melden.
Derzeit werden vom Kreis Düren keine Sachspenden gesammelt. Wenn wieder Sachspenden benötigt werden, erfolgt zeitnah ein Spendenaufruf. Bitte beachten Sie auch die Informationen in den jeweiligen Kommunen.