Ein Interview mit dem Landrat
Krieg und Krisen, ein 50. Geburtstag, der Strukturwandel, Klimaschutz, Wasserstoff, Familien: Nur einige Schlagworte, die für 2022 prägend waren und auch in diesem Jahr – zum großen Teil - noch gelten. Wie war 2022? Welche Projekte stehen in diesem Jahr im Kreis Düren an? Zu diesen Fragen äußert sich Landrat Wolfgang Spelthahn im großen Interview mit der KreisRundRedaktion.
Was ist Ihnen persönlich aus 2022 besonders im Gedächtnis geblieben?
Wolfgang Spelthahn: Der Krieg in der Ukraine bedeutete eine Zäsur für Europa und beschäftigt uns leider bis heute. Wir haben im Kreis Düren mehr als 4000 Geflüchtete aufgenommen und Unterstützungs- und Beratungsangebote geschaffen. Viele Bürgerinnen und Bürger haben dankenswerterweise geholfen und machen das bis heute. Die Energiepreise sind explodiert, die Inflation ist in die Höhe geschnellt, außerdem hat uns Corona weiterhin stark beschäftigt. Das Jahr geht somit nicht als eines der fetten Jahre, im Sinne der Bibel, in die Geschichte ein. Zum Glück hatten wir auch viele erfreuliche Momente: Zum einen die zu spürende Gastfreundlichkeit im Kreis Düren, als die Menschen aus der Ukraine kamen. Wenn es darauf ankommt, steht der Kreis Düren zusammen. Wir haben gezeigt, dass wir ein weltoffener, zugewandter und empathischer Kreis sind. Das hat sich auch durch die vielen Hilfstransporte gezeigt, die von Kreis Dürener Boden ausgingen. Sehr positiv war auch unser Kreis-Jubiläum, bei dem viele Menschen auf unterschiedlichen Veranstaltungen zusammenkamen. Ich nenne exemplarisch nur unsere beiden Familienfeste in Nideggen und Jülich oder die große Zirkusshow mit den Höhnern auf dem Annakirmesplatz.
Sie haben den Krisen-Modus angesprochen: Wie gehen Sie persönlich damit um, wenn Sie als Landrat immer wieder Krisen zu managen haben und mit dem Leid von vielen Menschen konfrontiert werden?
Wolfgang Spelthahn: Natürlich beschäftigt mich das sehr, allein schon, weil ich sehr viele Begegnungen mit den Menschen im Kreisgebiet habe. Da habe ich viel vom Leid und Elend erfahren, das vielen widerfahren ist. Das schüttele ich nicht einfach so ab. Das ging und geht mir nahe. So gerne ich es auch wollte: Wir können leider nicht alle Probleme über Nacht lösen. Wir geben uns aber alle erdenkliche Mühe, auch in der Hoffnung, dass bald wieder bessere Zeiten kommen.
Das ist ein gutes Stichwort. Vielleicht ist 2023 nicht durch so viele Krisen geprägt wie das vergangene Jahr, sodass wieder mehr Normalität selbstverständlich ist. Welche Projekte sind Ihnen für dieses Jahr besonders wichtig?
Wolfgang Spelthahn: Ein wichtiges Stichwort ist der Strukturwandel im Kreis Düren mit seinen drei großen Tagebauen. Bisher verläuft der Förderprozess recht schleppend. Es ist dringend geboten, dass die vom Bund beschlossenen millionenschweren Fördermittel schnell fließen, damit die Menschen sehen, dass es weiter geht. Wir brauchen jetzt eine gehörige Dynamik, damit der Kreis Düren sich weiter positiv entwickeln kann. Wichtig ist dabei beispielsweise der Klimaschutz, Bildung, Familien und – natürlich – das Schaffen neuer Arbeitsplätze.
Was bedeutet das konkret?
Wolfgang Spelthahn: Der Kreis Düren verfolgt das Ziel, bis 2035 klimaneutral zu sein. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahren einige Klimaschutzprogramme aufgelegt und zum Beispiel den Ausbau der Sonnenenergie erheblich gefördert. Auf diesem Weg gehen wir in diesem Jahr weiter. Da gibt es bereits eine hohe Akzeptanz. Die brauchen wir auch in der Windenergie, damit diese Form der Energiegewinnung ausgebaut werden kann. Insgesamt geht es aber auch darum, dass der Kreis Düren seine Vorbildfunktion weiter ausbaut. Dies sage ich mit Blick auf Industrie und Wirtschaft, die künftig vermehrt auf regenerative Energie setzen können und müssten. Wir sind auch deshalb auf dem Weg zu einer Wasserstoffmodellregion, weil wir vorleben, dass es funktioniert. Wir werden spätestens ab 2024 grünen, also umweltfreundlichen Wasserstoff am Brainergy Park in Jülich herstellen, mit dem wir unsere Busse und bald schon Züge versorgen. Dieser Wasserstoff kann aber auch von der Industrie genutzt werden. Wir haben die Anlage in Jülich deshalb so geplant, dass sie bei Bedarf schnell erweitert werden kann. Wir werben auch dafür, dass Wasserstoff im Schwerlastverkehr eingesetzt wird. Wir haben viele Speditionen im Keis Düren, die künftig Wasserstoff nutzen können. Der Kreis Düren setzt auf Wasserstoffbusse, -züge und wird auch den Neubau des Nelly Pütz-Kollegs in Düren so planen, dass zum Beispiel mit Wasserstoff geheizt werden kann.
Als ein Problem wird immer noch die Verfügbarkeit von Wasserstoff genannt.
Wolfgang Spelthahn: Das höre ich häufig. Deshalb achten wir sehr darauf, die Infrastruktur auszubauen, was auch schon gelungen ist. Die erste Wasserstofftankstelle im Keis Düren ist seit vergangenem Jahr in Betrieb, weitere vier werden folgen. Es ist enorm wichtig zu zeigen, dass es funktioniert. Wir müssen Erfolge sichtbar machen, weg von der abstrakten, hin zu einer sehr konkreten Ebene. Wenn wir die Verfügbarkeit von Wasserstoff in ausreichendem Maß sicherstellen können, wird es auch klappen. Wir haben deshalb schon jetzt die Planungen angepasst und werden die Produktionskapazitäten unserer Anlage in Jülich höher dimensionieren.
Wo werden die Wasserstofftankstellen stehen?
Wolfgang Spelthahn: Eine ist im Dürener Gewerbegebiet „Im Großen Tal” bereits in Betrieb, eine wird am Brainergy Park in Jülich gebaut, eine am Dürener Bahnhof. Beide sollen 2024 fertig sein. Zwei weitere werden von privater Hand errichtet. Ich gehe davon aus, dass das Jahr 2024 ein Jahr des Durchbruchs sein wird, in diesem Jahr wird noch erheblich geplant, inklusive der Förderungen, die für solch große Vorhaben notwendig sind.
Der Kreis Düren geht mit Ihnen an der Spitze in Sachen Wasserstoff schon seit langer Zeit voran, mittlerweile setzen auch Land und Bund auf eigene Strategien, zudem auch andere Kreise und Städte. Wie kam es, dass Sie schon so frühzeitig auf dieses Thema gesetzt haben?
Wolfgang Spelthahn: Das ist ein pragmatischer Ansatz gewesen. Wir waren immer Energiekreis, weil bei uns über viele Jahrzehnte Kohle gefördert wurde. Wenn wir Energiekreis bleiben wollen, müssen wir auch auf andere Technologien setzen. Da bietet sich meiner Meinung nach Wasserstoff in besonderem Maß an. Damit möchte ich Akzente setzen. Sonne und Wind sind in der Energiewende viel diskutiert und richtig, aber mittlerweile Standard. Das ist beim Wasserstoff noch nicht so. Wasser ist ein positiv besetzter Begriff. Wenn wir daraus letztlich Energie gewinnen können, ist das aus meiner Sicht, obwohl ich kein Techniker bin, ein faszinierender Vorgang. Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass durch die Forschung an Wasserstoff und durch seine Produktion eine enorme Zahl an Arbeitsplätzen entsteht. Dafür steht auch Professor Peter Wasserscheid als Sprecher des Helmholtz-Clusters im Brainergy Park, in dem intensiv an der Technologie gearbeitet wird.
Welche Themen sind noch wichtig in diesem Jahr?
Wolfgang Spelthahn: Die Zukunft des Kreises hängt auch davon ab, welche und wie viele gut ausgebildete Menschen im Kreis Düren leben oder zu uns ziehen. Deshalb verfolgen wir eine Wachstumsoffensive, die dazu führen soll, dass wir in den kommenden Jahren auf rund 300.000 Einwohner wachsen. Vor allem geht es aber darum, mit Blick auf die Qualität zu wachsen. Deshalb freue ich mich, dass sich alle 15 Kommunen des Kreises diesem Ziel verschrieben haben. Für Menschen aus den umliegenden Ballungsräumen ist es hoch attraktiv, in den Kreis Düren zu ziehen. Wir bauen unsere Bus- und Zugverbindungen aus. Die Bördebahn zwischen Düren und Euskirchen fährt beispielsweise im Stundentakt, unsere Busse fahren über 1,5 Millionen Kilometer mehr als noch vor drei Jahren. Wir bieten viele attraktive Wohngebiete, machen gute Bildungs- und Studienangebote, verzichten im Gegensatz zu vielen anderen Kommunen auf Kita-Gebühren und werden deshalb weiter wachsen. Wir haben immer auch besonders die Familien im Blick und achten darauf, dass wir entsprechend attraktive Angebote schaffen. Dazu gehören zweifellos gute Kita-Plätze oder eine ausreichende Zahl an Plätzen in offenen Ganztagsgrundschulen. Wir werden weiter massiv in Bildungs- und Betreuungsangebote investieren. Das ist eine Zukunftsinvestition. Die kommt allen Menschen im Kreis zugute, weil es wichtig ist, dass bei uns alle Generationen gute Voraussetzungen und Chancen haben.
Das alles gehört zum Strukturwandel…
Wolfgang Spelthahn: Ich begreife den Strukturwandel so, dass wir im Kreis Düren gute Rahmenbedingungen für alle, die hier leben und leben wollen, weiter ausbauen. Dann kommen die Menschen und arbeiten auch im Kreis Düren, wovon unsere Unternehmen profitieren. Natürlich ist es auch wichtig, den Betrieben und Firmen selbst attraktive Voraussetzungen zu schaffen, damit neue Arbeitsplätze entstehen. Deshalb brauchen wir zum Beispiel moderne Straßen und Brücken oder – natürlich – schnelles Internet, zudem einen massiven Ausbau der Bahnstruktur. Dann bietet eben nicht nur der Großraum, sondern auch der ländliche Raum beste Voraussetzungen, sich äußerst wohl und heimisch zu fühlen.