"Eine Krise ist eigentlich etwas für kürzere Zeiträume"
Herr Dr. Schnitzler, die ersten Worte, die Ihnen nach zwei Jahren Pandemie einfallen, lauten…?
Dr. Norbert Schnitzler: …es reicht.
Weshalb gerade diese Worte?
Dr. Schnitzler: Zwei Jahre im Krisenmodus sind ganz schwer aufrechtzuerhalten. Eine Krise ist eigentlich etwas für kürzere Zeiträume. Hinzu kommt, dass die Aufgaben des Gesundheitsamtes von einem Eingreifen und Unterstützen immer mehr in Richtung Zählfunktion abdriften.
Das bedeutet, Sie möchten gerne zurück zum eigentlichen "Geschäft?"
Dr. Schnitzler: Ja, natürlich. Es wäre einfach schön, wenn im Frühjahr und Sommer Corona keine allzu große Rolle mehr spielt und im Herbst nicht mehr so zurück kommt, wie wir es dieses Jahr erlebt haben. Ich denke schon, dass wir im Herbst/Winter wieder eine Welle bekommen, aber die wird anders aussehen. Wir sollten uns dann auf die Kranken konzentrieren, die Belastung in den Krankenhäusern und nicht so sehr auf die Datenerhebung.
Ende 2020, als bekannt wurde, dass es einen Impfstoff geben würde, hatten Sie mit einem früheren Ausklingen der Pandemie gerechnet, oder?
Dr. Schnitzler: Ja, das stimmt. Ich dachte, wenn sich jetzt alle impfen lassen, dann haben wir es geschafft. Dass sich so viele nicht oder erst sehr viel später impfen lassen, damit habe ich nicht gerechnet.
Die Pandemie hat uns verändert. Auch unser Denken, unser Hygieneverhalten, unseren sozialen Umgang. Hat sie auch Sie verändert?
Dr. Schnitzler: Auf jeden Fall. Sich unbefangen zu treffen, fällt schwer. Und es kommt einem immer noch seltsam vor, wenn einem unbekannte Menschen zu nahe kommen. Da muss man sich wieder dran gewöhnen.
Wie hat die Pandemie die Arbeit im Gesundheitsamt verändert?
Dr. Schnitzler: Wir werden uns in die alten Aufgaben erst wieder einfinden müssen. In der Corona-Phase haben wir ganz anders gearbeitet als zuvor. Die Arbeit im Zusammenhang mit Corona hat sich ganz wesentlich auf den Computer und die Datenerhebung konzentriert. Viele dieser ursprünglichen Aufgaben bedürfen einer Planung, der Vergabe von Terminen, Begehungen, Präsenz – das muss wieder alles neu anlaufen. Wir haben auch einige Kolleginnen und Kollegen, die nur diese Phase im Gesundheitsamt kennen, weil sie in den vergangenen zwei Jahren eingestellt worden sind. Ich sage ihnen immer, dass es nicht so bleibt. Wir werden wieder unter Menschen gehen.
Ihre Arbeit fand ja tatsächlich nicht nur am PC statt. Aus Ihnen ist in der Zeit ein gefragter Experte für die Medien geworden. Sie haben in den vergangenen zwei Jahren so viele Interviews wie vermutlich nie zuvor gegeben. Haben Sie das als Teil Ihrer Arbeit verstanden?
Dr. Schnitzler: Vorher war das selten, da war ich vielleicht vier oder fünf Mal vor der Kamera. Damals ging es um Masern oder Legionellen. In der Hochphase der Corona-Pandemie hatte ich den Eindruck, dass ich jede Woche vor die Kamera musste und man gewöhnt sich tatsächlich daran. Vor allem, weil meine Erfahrungen durchweg positiv waren. Ich habe das als Teil meiner Arbeit verstanden, ja. Zu Beginn der Pandemie ging es ganz viel um Aufklärung.
Sie haben sich in Ihrer beruflichen Laufbahn schon früh mit genau diesen Themen beschäftigt, die unsere Jahre 2020-2022 so sehr prägten. Wie sind Sie im Bereich der Epidemiologie/Immunologie gelandet?
Dr. Schnitzler: Das war im Grunde Zufall. Nach meinem Studium war eine Stelle am Institut für Immunologie als Arzt im Praktikum an der RWTH Aachen frei. Ich habe mich beworben und bin zehn Jahre geblieben. Dort habe ich die Facharztausbildung zum Arzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie absolviert. Im Anschluss habe ich in der Infektionsimmunologie habilitiert und bin dann zum Bundesgesundheitsministerium gewechselt.
Da sind Sie zu einem ziemlich spannenden Zeitpunkt angekommen…
Dr. Schnitzler: Das ist richtig. Ich kam dort an, als zufällig das Infektionsschutzgesetz in der Mache war. Daran habe ich mitgearbeitet, zuvor hieß es Bundeseuchengesetz.
Dieses Gesetz und alle neuen Verordnungen haben Sie in den vergangenen Jahren vermutlich viel häufiger gelesen als Ihnen lieb war…
Dr. Schnitzler: Das kann man wohl sagen. Ich weiß nicht, wie viele Verordnungen seit Beginn der Pandemie immer wieder geändert wurden und wie viele Erlasse wir von den Ministerien in Düsseldorf erhalten haben. Es dürften deutlich über 100 gewesen sein.
Was wird Corona Ihrer Meinung nach hinterlassen – außer einer Menge Informationen, die wir alle gelesen haben?
Dr. Schnitzler: Aus medizinischer Sicht hat Corona ganz deutlich gezeigt, was man mit Hygiene machen kann. Denn die ersten Wellen sind durch Hygienemaßnahmen gebrochen worden. Und ich würde mir wünschen, dass die Menschen diese schnelle Entwicklung des Impfstoffes als etwas Positives bewerten. Wenn die Weltgemeinschaft zusammenarbeitet, dann kann man gemeinsam ganz schnell Gutes erreichen.
Bleiben die Masken, Hygienemaßnahmen, Abstand halten uns erhalten?
Dr. Schnitzler: Das ist ganz schwer abzuschätzen. Ich könnte mir vorstellen, dass das Maskentragen uns noch eine Zeit lang begleiten wird. Es könnte aber genauso gut sein, dass plötzlich alles weg ist und wir uns wieder die Hände schütteln und uns umarmen.
Tun wir mal so als gäbe es einen Tag X, an dem wirklich alles vorbei wäre. Was würden Sie dann tun?
Dr. Schnitzler: Feiern. Am liebsten ein großes Grillfest mit den Kolleginnen und Kollegen.